Schaumwein mit Stil

Als die Familie Raventós, Eignerin der seit 1551 im katalanischen Sant Sadurní d‘Anoia ansässigen Cava-Kellerei Codorníu, im Jahre 1895 beschloss, ihre Kellerei ausbauen zu lassen, wandte sie sich zunächst an den Architektur-Superstar der Zeit, Antoni Gaudí y Cornet. Der hatte zu jener Zeit nicht nur bereits verschiedene Gebäude für seinen größten Fan, den katalanischen Industriellen und Mäzen Eusebi Güell, realisiert, sondern auch bereits mit den Arbeiten an der Monumentalkirche Sagrada Família begonnen, die bis heute noch nicht vollständig fertiggestellt werden konnte. Zum Leidwesen der Raventós‘ lehnte Gaudí den Auftrag aus Zeitmangel ab, empfahl aber einen seiner Schüler, den seinerzeit erst 28-jährigen Josep Puig i Cadafalch. Für Puig wurde die Arbeit an den Kellereigebäuden – darunter auch diese als „Kathedrale des Cava“ apostrophierte Monumentalstruktur – zu einer Lebensaufgabe. Puig baute dabei in unterschiedlichen Stilrichtungen – vom Modernisme, der katalanischen Form des Jugendstils, bis hin zum Noucentisme, dem Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts.

(Fotos E. Supp)

Gleich drei Gebäude bzw. Gebäudekomplexe realisierte Puig i Cadafalch im Laufe der Jahrzehnte auf dem Gelände von Codorníu. Die „Kathedrale“ gleich am Eingang des Kellereigeländes, deren Beiname unter anderem auf eine Reihe von „Kirchenfenstern“ zurückgeht, die besonders von innen eine gewisse sakrale Wirkung entfalten. Dann die großen Lager- und Versektungskeller und schließlich, im Jahre 1906, das heißt schon zu Beginn der Epoche des Noucentisme, den historisierenden „Torre de Can Codorníu“, paradoxerweise auch „Torre Modernista“ genannt. Letzterer gewinnt seinen Charme vor allem durch die Einbettung in den wunderschönen Park, der zwischen den Gebäuden angelegt wurde. Vom Cava und von Sant Sadurní aus verbreitete sich Puigs Ruf so nachhaltig, dass seine Werke heute überall in Barcelona und einer Handvoll katalanischer Gemeinden zu bewundern sind. Der Großteil der Gebäude in der katalanischen Hauptstadt wurde dabei erst nach dem Start des Projekts gebaut, nur Codorníus berühmte Casa Amatller am Paseig de Grácia datiert noch aus dem 19. Jahrhundert.

Einer der in seiner Formen- und Farbensprache strengsten, vielleicht aber gerade deshalb gelungensten Bauten Josep Puigs ist die einstige Textilfabrik „Fábrica Casaramona“ direkt hinter dem Messegelände von Barcelona. Sie datiert von 1912 und gewann in jenem Jahr auch den jährlichen Architekturwettbewerb der Stadt Barcelona. Heute beherbergt das Gebäude das Museum und Auditorium „CaixaForum“.

Trotz des immer neuen Stilwandels, den das Werk Puigs über die Jahre erlebte – eine Konstante zieht sich durch sein gesamtes Werk: Türme und Türmchen. Fast scheint es, als habe sich der Katalane eher als Bauherr mittelalterlicher Burgen oder barocker Schlösser denn als „Modernist“ gesehen. Nicht zu leugnen ist allerdings der Charme, den die Türme mit ihren Häubchen ausstrahlen, sei es die Casa Terrades, alias Casa de les Punxes von 1903/05, die Königin Victoria Eugenia gewidmete Messehalle von 1929, die im Rahmen der damaligen Weltausstellung entstand, die beiden Türme der Fábrica Casaramona oder der Torre de Can Codorníu in Vilafranca del Penedès.

Gaudí war der ältere der beiden und auch der Lehrer von Puig i Cadafalch, seine Farben aber wirken gelegentlich verspielter. Und auch auch moderner, zeitloser. Das sieht man besonders gut auf dem Passeig de Grácia, wo Gaudís Casa Battló und Puigs Casa Amattler direkt nebeneinander zu bewundern sind. Und nicht nur sie, denn auf knapp hundert Metern dieses Prachtboulevards hat sich praktisch alles versammelt, was im Modernisme Barcelonas architektonisch Rang und Namen hatte. Das beginnt mit Casa Lleó Morera von Lluís Domènech i Montaner, setzt sich fort über Casa Mulleras von Enric Sagnier i Villavecchia und Casa Josefina Boner von Marcel-lí Coquillar i Llofriu und endet mit den beiden Bauten von Puig und Gaudí.

Im Inneren von Gebäuden des Modernisme zu fotografieren, ist in Barcelona nicht ganz einfach. Wer bei den Verantwortlichen um eine Genehmigung bittet, bekommt oft gar nicht erst eine Antwort. Spontan geht nichts, wie etwa beim Restaurant Els Quatre Gats in der Casa Martí, einst einem beliebten Treffpunkt von Jugendstil-Künstlern aus ganz Europa. Nur im Palau del Baró de Quadras, der heute das Kulturzentrum Ramon Llull beherbergt, findet sich eine verständnisvolle Seele, die das Fotografieren des wunderschönen Treppenhauses erlaubt.

Wer die typischen, unverfälschten, ungeschminkten Ziegelsteinbögen des katalanischen Modernisme sucht, findet sie in den alten Versektungs- und Lagerkellern Codorníus: Backsteine, wohin das Auge blickt. In den Fassadendekorationen findet sich ein Material wieder, dessen sich auch Gaudí wiederholt bediente: Glasscherben. Während die allerdings beim Großmeister bunt und in der Regel zu schönen Mosaiken gelegt sind, hat Puig – in einer Weinkellerei bietet sich das wohl auch an – große Stücke dunkler Weinflaschen in die Fassaden einzementieren lassen.

Bei vielen seiner Gebäude wurde Puig offenbar von einer regelrechten, barock anmutenden Dekorationswut getrieben. Casa de les Punxes, Casa Martí, Casa Macaya und Casa Serra (im Uhrzeigersinn) gehören zu den schönsten Emanationen dieser „Wut“. Für den Besucher auf den Spuren des Architekten besonders angenehm: zahlreiche seiner Gebäude liegen an der Avinguda Diagonal oder in deren Seitenstraßen. Die stellt nicht zufällig einen wichtigen Teil der von Barcelonas Stadtverwaltung ausgewiesenen „Ruta del Modernisme“ dar.

Ob es an der politischen Großwettterlage lag? Immerhin entstanden diese Fotos in der Zeit des umstrittenen katalanischen Unabhängigkeitsreferendums. Jedenfalls schien es auf dem Gelände zwischen der Plaza d’Espanya und dem Palau Nacional, das die Messe von Barcelona beherbergt, unmöglich, zu eruieren, welche der Messehallen denn nun dem spanischen König Alfons XIII. und seiner Gattin Victoria Eugénie von Battenberg gewidmet waren. „Nein, die Namen kenne ich nicht, bei uns tragen die Pavillons Nummern“, belehrt der ältere Herr, der kontrolliert, ob auf der Plaça de Josep Puig i Cadafalch die Reste einer Musikveranstaltung entfernt wurden. Muss man denn in Katalonien die Namen spanischer Könige kennen

Die beiden Pavillons vor dem Palau Nacional werden dem Stil des Monumentalismus zugerechnet, der seine Inspirationen aus den Bauten des römischen Imperiums gezogen haben soll. Auch die vier großen Säulen vor den Hallen stammen von Puig.

Dieser Artikel wurde zuerst in enos 4/2017 veröffentlicht.
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